Lehrkräfte-Gewinnungspaket
730 neue Stellen – und wieder keiner da?!
Der Kultusminister schafft 730 zusätzliche Lehrerstellen, doch wir fragen uns: Mit wem soll man sie besetzen?
Die Lage ist nicht neu, sondern war zumindest im Bereich Geburten und nachgeholten Einschulungen durchaus vorhersehbar. Die Geburtenzahlen sind statistisch erfasst und jedes Kind, das geboren wird, muss früher oder später auch eingeschult werden. Somit erhöhen nachgeholte Einschulungen nicht die Schülerzahlen. Kennt das Kultusministerium diese Statistiken nicht, oder warum ist es so schlecht vorbereitet?
Die meisten Schülerinnen und Schüler, die wegen des Ukrainekrieges zusätzlich an unseren Schulen unterrichtet werden, wollen so schnell als möglich wieder in ihre Heimat zurückkehren. Ein gesundes System könnte diesen vorübergehenden Anstieg der Schülerzahlen verkraften und ausgleichen. Wer jedoch keine Prävention betreibt und statt Ursachenbekämpfung vermeintlich nur Symptome verarztet, löst definitiv nicht das Problem.
Die bundesweite Krise des Fachkräftemangels kennen wir in Niedersachsen im Lehrerberuf schon seit Jahren. Das begann schon mit der Streichung von 800 Stellen, als die Lehrkräfte noch als „faule Säcke“ tituliert wurden. Durch den parteiübergreifenden Wunsch der Besoldungserhöhung auf A13 wurden bisher noch keine Lehrkräfte gewonnen, weil dies allein durch Ankündigung nicht gelingen kann. Wann erfolgt die Umsetzung dieses Plans?
Teilweise positiv hervorzuheben im Lehrkräfte-Gewinnungspaket des Kultusministers ist der formulierte Gewinn von Unterrichtsstunden durch Studierende und Pensionierte, sowie Quereinsteiger.
Dadurch wird zwar die Quantität der Stunden angehoben, allerdings ist für die Erziehungsberechtigten und ebenso die Schülerschaft neben einer verlässlichen Stundentafel vor allem auch die Qualität der Bildungsangebote entscheidend.
Wir geben zu bedenken:
- Um diese Bildungsqualität tatsächlich sicherstellen zu können, ist beim Einsatz von Quereinsteigern und Studierenden eine intensive fachliche Begleitung und Anleitung erforderlich. Aus diesem Grund wirkt sich der vermehrte Einsatz von Quereinsteigern und Studierenden nicht kurzfristig positiv auf die Unterrichtsversorgung aus.
- Pensionäre stehen der Digitalisierung vielleicht unvorbereitet gegenüber.
Wie sollen Lehrkräfte bei der derzeitigen Belastung noch angemessen begleiten?
Seit Beginn der neuen Legislatur wurden laut Kultusministerium 3000 zusätzliche Lehrkräfte eingestellt. Neben den Stellen pensionierter Lehrkräfte mussten bereits für die Umstellung von G8 auf G9 weitere Pädagogen generiert werden. Inwiefern hat der Kultusminister dies bei seiner Aussage und Berechnung berücksichtigt?
Sollte das nicht beachtet worden sein, ist der Zugewinn wesentlich geringer als dargestellt.
Einen Höchststand erreicht man vielleicht, wenn die Unterrichtsversorgung 100 oder besser 110 % betragen würde – damit wären normale Krankenstände aufgefangen, aber nicht die exorbitant hohen Krankheitsfälle durch Corona. Wie aber soll Schule unter diesen Gegebenheiten weiterentwickelt werden können?
Der schon seit Jahren hohe Unterrichtsausfall erschwert massiv den Lernfortschritt unserer Schülerinnen und Schüler. Den unterschiedlich ausgeprägten Coronadefiziten kann unter diesen Umständen nicht überall zuverlässig entgegengewirkt werden. Die Auslagerung in außerschulische Lernräume während der Erholungszeit der Kinder dient doch eher der Betreuung als dem Aufholen von Lernrückständen. Dies ist abhängig vom Elternwillen und der Erkenntnis der Notwendigkeit und kommt somit nicht jedem Kind zugute.
Wir stellen fest:
An diversen Stellen wird das Problem des Lehrkräftemangels nur verlagert. Dadurch gibt es kein Plus an Lehrkräften. Wir erkennen keine proaktive Fachkräftegewinnung durch Prämien, Umzugsvergütung usw., sondern lediglich eine Umverteilung:
- Wer mit Prämien aufs Land geködert wird, fehlt an anderen Stellen.
- Studierende in andere Bildungsgänge zu setzen, lässt sie im eigenen fehlen.
- Tausch in den Referendarzeiten löst nicht das Kernproblem des Lehrermangels.
- Eigenverantwortlicher Unterricht der Referendare ist kein Gewinn, denn sie unterrichten schon. Problematisch ist, dass sie alleingelassen werden. Anleitung, wie die Theorie aus dem Studium in der Praxis mit lebendigen SuS anzuwenden ist, findet kaum statt. Didaktik muss man aktiv lernen. Fürsorgepflicht bedeutet nicht, sich alleingelassen - ohne Reflexion - an unseren Kindern ausprobieren zu müssen. Wir fragen zudem als Erziehungsberechtigte mit Blick auf die Bildungsqualität: Wie häufig kann und darf man Schülerinnen und Schülern einen ständigen Wechsel der Referendare zumuten?
Wo also ist die proaktive Fachkräftegewinnung?
Multiprofessionelle Teams, Schulpsychologie, Sozialarbeit, Sonderpädagogen... gehören scheinbar gar nicht zum virtuellen Markt der klugen Köpfe, auf dem das Kultusministerium einkauft.
Mit ihnen würden Stunden gewonnen und die Lehrkräfte wirklich unterstützt und diese könnten sich wieder intensiver auf die lehrende Tätigkeit konzentrieren. Um Erfolge für die Schülerschaft zu erreichen, benötigt das Schulsystem allerdings alle diese Fachkräfte! Nur mit mehr Zeit gelingt Beziehungsarbeit, welche die Grundlage für gutes Lernen ist. Übrigens waren Ergänzungen in diesen Bereich bereits in der letzten Koalitionsvereinbarung versprochen, wurden vom Kultusminister allerdings im Rahmen von Haushaltskürzungen wieder einkassiert. Durch konstruktive und eingehende Zusammenarbeit der Ministerien Kultus und Wissenschaft/Kultur könnte Lehrkräfte-Gewinnung vielleicht nachhaltig wirksamer gelingen.
Fazit: Zum bisherigen Lehrermangel und einer katastrophaler Unterrichtsversorgung kommen nun also noch 730 weitere „attraktive“ aber wohl ebenso unbesetzte Stellen. Reicht das für die Zukunft?
Bei unserer Vorratsprüfung fragen wir uns:
Handelt es sich um eingekochte Expertise oder geht es jetzt ans Eingemachte???
Euer Bildungsblock – weil Bildung eine Lobby braucht!